Was ist Avidya?
Was ist Avidya?
Und warum ist es wichtig über Avidya Bescheid zu wissen?
In der Annahme etwas in seiner Vollständigkeit zu erkennen und zu verstehen, beginnen, oder unterlassen wir es zu handeln. Wenn diese Handlung wiederholt wird, schleift sie sich ein und wird nach und nach zur Norm.
Ein Ziel von Yoga ist es in den wahren Zustand des Verstehens zu kommen.
Avidya ist die Gesamtheit der Stolpersteine die wir uns selbst legen.
Es ist der Schleier, der uns daran hindert Dinge zu sehen wie sie wirklich sind.
Ähnlich wie das Nashorn in diesem wundervollen Bild, lassen wir uns von unseren blinden Flecken im Leben beeinflussen. Sie nehmen uns entweder ganz die Sicht, oder lassen etwas anders erscheinen als es ist.
Dieses Trugbild wird im Yoga-Sutra Avidya genannt und wörtlich übersetzt als „Wissen, das kein richtiges Wissen ist.“
„Wir sehen die Dinge nicht wie sie sind, sondern wie wir sind.“
Anaïs Nin
Bsp. Als Rechtshänder bist du es sicher gewohnt mit der rechten Hand deinen Löffel zum Mund zu führen. Über die Jahre ist diese Handlung verinnerlicht. Du wirst bei jeder Suppe mit der rechten Hand zum Löffel greifen. Du denkst also gar nicht darüber nach mal die andere Hand zu nehmen. Die gelebte Wahrheit ist, „rechte Hand nimmt Löffel und führt ihn zu Mund“. Respektive mit der linken, wenn du Linkshänder bist. 😉
Was ist, wenn es viel mehr Spaß macht mit der anderen Hand zu essen, du es aber nie ausprobiert hast?
Lustig wird es, wenn du noch nie darüber nachgedacht hast mit welcher Hand du den Löffel zum Mund führst und die Seite je nach Armfreiheit änderst (wie ich).
DAS ist im Prinzip, wo wir hinkommen wollen, allerdings in vollem Bewusstsein.
Wir möchten lernen die Perspektive zu wechseln, um Situationen und uns selbst von allen Seiten betrachten zu können. Vollständiges, oder – zunächst – besseres Erkennen hilft, uns von alten Pfaden zu lösen und für neue Pfade den Blick zu öffnen.
T.K.V Desikachar bezeichnet in seinem Buch, Yoga und Tradition, Avidya als einen Film oder auch Schleier, der sich über die Augen legt und uns daran hindert alles in voller Klarheit zu erkennen. So wie es im oberen Bild zu erkennen ist.
Das Ziel von Yoga, als vollständigem System, ist es diesen Film oder Schleier zu reduzieren. Dadurch kommen wir in die Befähigung, aus klarem Bewusstsein heraus, zu denken und handeln.
Es ist jedoch nicht nur EIN Ziel des Yoga, zu klarem Bewusstsein zu kommen. Es ist DAS Ziel – DIE Voraussetzung für inneren Frieden und Zufriedenheit.
Um in dem Beispiel von zuvor zu bleiben, ist es in manchen Situationen lediglich praktisch, den Löffel auch gekonnt mit der anderen Hand zum Mund führen zu können, also den Blickwinkel wechseln zu können. In anderen Situationen hängt viel mehr dran. Die Beziehung, der Job, die Gesundheit oder das eigene Wohlbefinden.
Falsches Verstehen bewirkt, dass wir Vergängliches für ewig halten, Unreines für rein, Erfahrungen, die von innerer Unfreiheit gekennzeichnet sind, mit tatsächlichem Glück verwechseln und unser wahres Selbst nicht richtig erkennen können.
Yoga Sutra 2.5
Wie können wir Avidya erkennen?
Das Yoga Sutra spricht von den vier Kindern von Avidya mit den Namen Asmita, Raga, Dvesha und Abhinivesha. Wir können sie auch Ego, Verlangen, Ablehnung und Angst nennen.
Zunächst:
Ich finde es schwierig über das Ego als Ergebnis aus falschem Wissen, und damit Grundlage falschen Handelns, zu sprechen. Meiner Erfahrung nach ist der Großteil der Menschheit nicht Ego-getrieben im Sinne von „größer, schneller, besser und all das nur für mich“.
Wenn nun also ein sowieso nicht Ego belasteter Mensch beginnt sich seine Wünsche und Bedürfnisse zu versagen, weil er „das Ego“ bekämpft, dann ist das ein Ausdruck eines falschen Verständnisses von Ego.
Das Wort Ego ist das lateinische Wort für Ich. Bekämpft man das Ego, bekämpft man also sich selbst.
Das Ziel, der ganzheitlichen Betrachtung von Yoga, ist einen Schleier zu entfernen, der das Ich am klaren Sehen, Erkennen und Handeln hindert um ein erfüllteres Leben führen zu können.
Das Ego will klar sehen, denn das Ego möchte in Zufriedenheit mit sich und seiner Umwelt leben.
Lasst uns erkennen lernen.
Die Kinder von Avidya sind also Asmita, Raga, Dvesha und Abhinivesha.
Wer oder was ist Asmita, Raga, Dvesha und Abhinivesha?
Asmita zeichnet sich durch Selbstüberschätzung aus, sowie ungesundem, inneren Antrieb andere zu übertreffen. B.K.S. Iyengar sagt dazu „das Gefühl der Individualität, das einen Menschen beschränkt und ihn von einer Gruppe unterscheidet, was physisch mental, intellektuell oder emotional sein kann“
Raga tut sich zum einen schwer los zu lassen, zum anderen möchte es vergangenes erneut erleben. Es geht jedoch nur um die Wiederholung des Erlebten. Der Wunsch wieder zu fühlen, wie zuvor gefühlt wurde. Raga zeigt sich in Abhängigkeit und Leidenschaft.
Dvesha verschließt sich der neuen Erfahrung. Zum Teil aufgrund vergangener unschöner Erfahrungen, teils ohne Grund.
Die Angst von abhinivesha zieht sich, zumeist verdeckt, durch viele Teile des Lebens als Zweifel, Schahm, Unsicherheit und oder Angst vor Veränderung. B.K.S. Iyengar spricht von „Liebe oder Lebensdurst, das instinktive Festhalten am weltlichen Leben und körperlichen Freuden und der Furcht, dass man von diesen allen durch Tod abgeschnitten wird.“
Beispiele für die Kinder von Avidya
Glaubt mir – ich kenne sie alle 😉
Ich war im Yoga-Unterricht und die Schülerin neben mir schaffte es in Padangushthasana das Gesicht zwischen die Knie zu bringen. In mir stieg Neid auf und ich zog und zerrte an mir, um ebenso weit zu kommen. Asmita
An einem Tag bat mich die Lehrerin nach vorne, um eine Asana, als Beispiel für die anderen, einzunehmen. Alle sahen zu, ich wurde gelobt und ich war erfüllt von dem Wohlgefühl dieses Lobes, vor allen anwesenden. Nun wollte ich natürlich immer wieder diejenige sein, die Asanas Beispielhaft vorführen darf – um dieses Lob zu erhalten. Raga
Zu Beginn der Asana-Praxis bin ich mal im Shavasana eingeschlafen und wachte vom eigenen Schnarchen auf. In der nächsten Unterrichtseinheit sprach die Lehrerin über die Bedeutung von Shavasana. Sie sprach von der körperlichen Bewegungslosigkeit mit gleichzeitiger geistiger Wachheit und Klarheit. Ich fühlte mich peinlich berührt. Seither war ich im Shavasana so konzentriert darauf wach zu sein, dass sich die geistige Klarheit nicht einstellen konnte. Dvesha
Ich hatte in einem Bericht über Yoga gehört, dass bestimmte Stellungen den Körper schädigen können. Nun war ich im Unterricht und die Lehrerin bat uns eine dieser Asanas einzunehmen. Die Angst, mich vermeintlich zu schädigen hinderte mich daran mich ganz auf die Asana einzulassen. Sie hinderte mich daran, den vermeintlichen Gefahrenpunkt zu erkennen, ihn zu überwinden und damit die heilende Wirkung zur Entfaltung kommen zu lassen. Abhinivesha
„Wenn wir das Wirken in unserem Geist mit der Quelle wirklichen Verstehens in uns verwechseln, so erliegen wir einem falschen Verständnis von uns selbst.“
Yoga Sutra 2.6
Albert Einstein sagte: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das gleiche zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten.“
Wünschen wir uns einen klaren Geist? Hindernisse, die uns davon abhalten ein zufriedenes, erfülltes Leben zu führen, zu erkennen und Vermeiden?
Dann lasst uns gemeinsam die Perspektive wechseln – und so lernen Avidya zu erkenennen und aufzulösen.
Wie können wir Avidya reduzieren?
Ich bin davon überzeugt, dass wir Dinge die wir nicht benennen können, einfach nicht sehen. Sowie wir jedoch wissen wie etwas heißt, können wir es kaum noch übersehen. Asmita, Raga, Dvesha und Abhinivesha sind nun benannt und durch Beispiele plastisch gemacht. Wir sind nun also fähig sie zu sehen.
Also begann ich mich zu beobachten.
Ich fragte mich, was meine Reaktion über mich aussagt.
- Ist es der Ausdruck eins altes Musters?
- Ist es überhaupt mein eigenes Muster, oder habe ich es von jemandem übernommen?
- Ist es möglich aus diesem Muster herauszutreten und anders zu handeln?
- Woher kommt dieser Gedanke, dieses Gefühl überhaupt?
- Warum kommt er auf?
- Wie reagiert mein Körper darauf? Bin ich z.B. entspannt, verkrampft, verärgert?
- Wo im Körper macht es sich bemerkbar?
- Welche Angst zeigt sich gerade?
- Muss ich mich wirklich jetzt damit beschäftigen?
Ich nehme mir einen Moment Zeit in diese Fragen hinein zu spüren, sie mir zu beantworten.
Wie macht sich reduziertes Avidya bemerkbar?
Wenn ich gerade beim Yoga bin, wenn sich Avidya bemerkbar macht, erlaube ich mir, mich in diesem Moment auf meine Atmung zu konzentrieren und mich später damit zu beschäftigen.
Beim nächsten Mal, wenn Neid in mir aufsteigt, lasse ich in mir so viel Freude für die Flexibilität der Mitschülerin aufkommen, wie ich kann. Gleichzeitig nehme ich mir vor achtsam an meiner Asana zu arbeiten.
Ich freue mich, wenn jemand anderes zum Vorführen der Asana ausgewählt wird und erkenne dabei, dass die Lehrerin uns sehr genau beobachtet und kennt.
Ich habe mir bewusst gemacht, dass bereits viele beim Shavasana eingeschlafen sind und gebe mir den Raum daran zu arbeiten, statt mich in korrekter Ausführung zu verkrampfen.
Beim Einnehmen schwieriger Asanas habe ich gelernt auf mein Körpergefühl zu vertrauen, aber auch die Möglichkeiten meines Körpers nicht zu unterschätzen.
So gehe ich wieder und wieder die oben genannten Punkte durch um zu erkunden, ob es neue und andere Perspektiven gibt.
Erkenntnis
Bislang habe ich erkannt, dass hinter den meisten (wenn nicht gar allen) Handlungen entweder Liebe oder Angst steht.
Ich denke im Laufe weiterer Studien zur Yoga-Psychologie und Philosophie wird deutlich, dass Angst und die Handlung aus der Angst, wie alles andere auch, sein darf. Aber ich bin überzeugt, dass sie meistens nicht notwendig ist und ich verstehen werde wie ich mit ihr leben, oder sie gar los lassen kann. Gleichzeitig kann die Liebe und die Handlung aus der Liebe wachsen.
lerne mit uns was Yoga ist
Klick dich doch auch mal durch das Wörterbuch, vielleicht erkennst du Asanas, die du immer wieder eingenommen hast, deren Bedeutung dir jedoch bislang nicht bewusst waren.